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Hämophilie

Die Hämophilie (Bluterkrankheit) liegt mir besonders am Herzen. Fast 10 Jahre lange war ich am Hämophiliezentrum Heidelberg tätig, in so vielen Jahren lernt man seine Patienten mit der Zeit immer besser kennen und man baut ähnlich wie ein Hausarzt auch in der Facharztfunktion eine ganz andere Beziehung zum Patienten und ggf. auch seiner Familie auf. In meiner Laufbahn konnte ich mehrere Hundert Patienten mit Hämophilie A und Hämophilie B kennen lernen.

Kinder mit Hämophilie

Die Diagnose der Hämophilie ist meistens schon gestellt, wenn man sich kennen lernt. Wenn die Erkrankung in der Familie schon bekannt ist, beginnt die Betreuung schon während der Schwangerschaft. Die Mutter als Überträgerin der Hämophilie bzw. die Eltern gemeinsam werden beraten mit den vielen Fragen und Sorgen, die sich dabei stellen. Die Entbindung muss sorgfältig geplant werden, damit man schon bei der Geburt auf alles vorbereitet ist. Wenn nicht eine Pränataldiagnostik durchgeführt wurde, bleibt die Diagnose immer noch eine gewisse Überraschung bis nach der Geburt. Dazu muss die Entbindungsklinik informiert werden wie am besten durch Blutabnahme aus der Nabelschnur die Diagnostik in die Wege geleitet werden kann.  Dann kann sich die Familie einigermaßen entspannt auf alles einstellen. Heutzutage haben wir schließlich hervorragende Behandlungsmöglichkeiten.  In den meisten Fällen macht sich die Blutungsneigung erst nach 6-9 Monaten wesentlich bemerkbar. Zu dem Zeitpunkt ergibt sich der erste Verdacht bei Kindern mit Hämophilie, wo die Erkrankung in der Familie bislang nicht vorgekommen ist.

Die Behandlung der schweren Hämophilie beginnt mit ca. einem Jahr mit prophylaktischer Substitution des fehlenden Gerinnungsfaktors als Dauerprophylaxe. Durch die häufigeren intravenösen Verabreichungen erfordert die Therapie zwar etwas Disziplin von Eltern und Kind, aber die betroffenen Jungen können mit einer gut eingestellten Prophylaxe praktisch ganz normal aufwachsen und ein normales Leben führen und auch Sport machen. Regelmäßige Vorstellungen im Hämophiliezentrum sollen ausschließen, dass sich Hemmkörper gegen die Gerinnungsfaktoren gebildet haben, was ansonsten eine Änderung der Vorgehensweise erfordern würde.

Im besten Fall sollen sich gefährliche Blutungen oder Blutungen in die Gelenke ganz vermeiden lassen, damit auch langfristig keine Folgeschäden der Hämophilie auftreten. Die Prophylaxe wird dazu an das steigende Körpergewicht und auch an Änderungen der Lebensgewohnheiten angepasst.

Die Eltern werden geschult immer mehr Verantwortung der Therapie zu übernehmen. Dies beginnt mit selbständigem Auflösen des Gerinnungsfaktors und geht schließlich zum selbständigen Spritzen über.

Jugendliche mit Hämophilie

Größere Kinder mit der nötigen Reife und dem nötigen Geschick, die es sich auch selbst zutrauen, werden angeleitet sich die Injektionen selbst zu geben. Damit hat der Betroffene die Erkrankung endgültig selbst „im Griff“. Die Welthämophiliegesellschaft spricht am liebsten nicht mehr von „Hämophiliepatient“, sondern von „Person mit Hämophilie“.

Der Hämophiliebehandler bleibt der vertraute Ansprechpartner in allen Angelegenheiten und berät wie man die Prophylaxe am besten individuell einsetzen kann, damit die Erkrankung nicht im Weg steht für das, was man sportlich, in der Freizeit oder auch bei der Berufswahl vor hat.

Vieles lernt man mit der Zeit von alleine, wann, wofür, wieviel und wozu man Faktor spritzen muss. Es wäre aber schade, wenn jeder Hämophiliepatient Rückschläge oder Niederlagen hinnehmen müsste bei seiner eigenen Lernkurve, der Hämophiliespezialist kann mit der geballten Erfahrung von der Behandlung mehrerer Hundert Hämophiliepatienten als Coach und Ratgeber helfen viel eigenen Ärger zu ersparen.

Erwachsene mit Hämophilie

Die Prophylaxe ist längst so selbstverständlich geworden wie Zähneputzen. Immer wieder kommt es vor, dass eine gewisse „Müdigkeit“ gegenüber der Prophylaxe aufkommt. Der Hämophiliebehandler ist immer ein motivierender Partner bei der Therapie.

Die Behandlung der Hämophilie bleibt eine lebenslange Lernkurve. Gemeinsam kann man auch noch bei alten Hasen Potenzial für eine Verbesserung oder Vereinfachung oder Individualisierung der Therapie erkennen, wenn man sich zusammen die Blutungs- und Substitutionstagebücher anschaut und überlegt wie man die Prophylaxe auf die Lebensgewohnheiten am besten abstimmen kann.

Nicht alle erwachsenen Hämophiliepatienten haben das Glück, dass keine Gelenkschäden infolge von Gelenkblutungen aufgetreten sind. In der Hämophiliesprechstunde können geeignete Maßnahmen besprochen werden angefangen von der richtigen Schmerztherapie über Physiotherapie (Krankengymnastik), Planung von Rehabilitationsmaßnahmen bis zur Verordnung von geeignetem Schuhwerk oder anderen Hilfsmitteln. Nicht bei allen Patienten genügen solche konservativen Maßnahmen. Im Netzwerk mit kompetenten Orthopäden können ggf. auch operative Maßnahmen (Gelenkersatz, in Einzelfällen auch Knorpelzelltransplantation) geplant werden, die bei kluger Vorgehensweise mit praktisch normalem Blutungsrisiko durchgeführt werden können.

Wenn die Entzündung der Gelenkschleimhaut (Synovitis) das führende Problem ist, kann auch eine Radiosynoviorthese (RSO) sehr gute Behandlungserfolge erbringen. Dabei wird eine schwach radioaktive Lösung (Alphastrahler) direkt in das zu behandelnde Gelenk gespritzt und kann dort die erkrankte Gelenkschleimhaut mit der nur 1-3 mm kurzen Eindringtiefe der Strahlung relativ schonend praktisch veröden. Bei guter Auswahl, welches Verfahren für welchen Patienten am besten geeignet ist, kann damit eine hohe Patientenzufriedenheit erreicht werden.

Gelenkultraschall

Viel Erfahrung und eine gute klinische Untersuchung sind natürlich die Voraussetzung einer zielgerichteten Therapie von Gelenkschäden (Hämophiliearthropathie), zur Bestätigung der Befunde und Planung der Behandlung muss aber auch eine geeignete Bildgebung erfolgen. Im Röntgen kann man mäßige Knorpelschäden leider schlecht erkennen und die Entzündung der Gelenkschleimhaut (Synovitis) praktisch gar nicht. Dies ist zwar möglich im MRT, welches aber aufwendig und teuer ist. Außerdem ist so eine Untersuchung nicht immer gleich bei der Hand und mit längeren Wartezeiten auf einen Termin verbunden. Eine gute Orientierung über Knorpelschäden und einen fast besseren Einblick auf die Gelenkschleimhaut bekommt man mit dem Ultraschall. Dieses Verfahren wird erst in den letzten Jahren in der Hämophiliebehandlung eingesetzt. Eigentlich ist es ideal, da wir es direkt im Sprechzimmer zur Verfügung haben.

Prophylaxe ist Goldstandard der Therapie bei Kindern und Erwachsenen

Erst seit kurzem ist es so, dass die Prophylaxe auch im Erwachsenenalter und nicht nur bei Kindern als die beste Therapie anerkannt ist. Vor gut 40 Jahren bei „Erfindung“ der Prophylaxe hatten man die Faktoren nicht unbegrenzt zur Verfügung und hat den Faktor nicht zuletzt deswegen hauptsächlich bei Kindern eingesetzt. Man ging aber auch davon aus, dass ein Gelenk im Wachstum schwereren Schaden erleidet durch einen Blutung als ein ausgewachsenes und Prophylaxen wurde im Erwachsenenalter häufig durch eine Bedarfstherapie (on demand Behandlung) ersetzt. Mittlerweile musste man aber feststellen, dass auch jede Gelenkblutung im Erwachsenenalter zu Gelenkschäden führen kann und auch selbst so genannte Mikroblutungen, die gar nicht unmittelbar durch Schmerz, Schwellung oder Bewegungseinschränkung wahrgenommen werden. Jede verhinderte Blutung ist also ein Erfolg für die langfristige Gelenkgesundheit und auch Patienten mit bereits leichten und auch schweren Arthropathien profitieren davon, indem eine zu rasche Verschlechterung des Befundes verhindert wird.

Konduktorinnen der Hämophilie (Überträgerinnen)

Aus vielen Lehrbüchern geht noch hervor, dass von der Hämophilie nur Männer betroffen sind und die Frauen, die die Erkrankung auf einem ihrer X-Chromosomen tragen wegen des zweiten gesunden Allels nicht betroffen wären. Tatsächlich ist es aber so, dass im weiblichen Körper durchschnittlich jedes zweite X-Chromosom nicht verwendet wird. Daher haben Konduktorinnen häufig auch nur einen niedrigeren Faktor VIII- bzw. Faktor IX-Spiegel, der etwa der Hälfte des Durschnittes entspricht (ca. 50%). Dies sollte bei Müttern, Schwestern und Töchtern von Hämophiliepatienten zumindest mal bekannt sein. Dann lässt sich auch feststellen, ob es ggf. noch niedriger ist oder ggf. auch normal. Der Schweregrad kann durchaus einer leichten Hämophilie entsprechen, was im Alltag meist asymptomatisch ist. Mit verstärkter Menstruation kann sich dies aber schon auch bemerkbar machen und für Operationen oder medizinische Eingriffe kann durchaus auch eine Therapie notwendig sein.

leichte Hämophilie

Definitionsgemäß ist der Schweregrad leicht, wenn die Restaktivität des Faktors über 5% liegt. Damit ist die Gefahr für spontane (grundlose) Blutungen gering, die Blutungsneigung bezieht sich auf Verletzungen und Operationen. Dementsprechend ist eine Dauertherapie nicht erforderlich, sondern nur im Bedarfsfall. Manchmal kann es sinnvoll sein, für zuhause eine Notfallration an Gerinnungsfaktoren verfügbar zu halten. Zum selbst spritzen lernen ist (zum Glück) häufig wenig Gelegenheit, wenn Faktorgaben oft nur alle paar Jahre tatsächlich nötig sind. 

Besuche im Hämophiliezentrum sind trotzdem oft gar nicht so selten nötig, trotz des um Klassen geringeren Schweregrades als bei der schweren Hämophilie. Gerade wenn man sich nicht täglich mit der Erkrankung auseinandersetzen muss oder schon mehr leidvolle Erfahrungen mit Blutungen hat, fehlt im Bedarfsfall die Erfahrung die Situation so selbständig einzuschätzen wie Patienten mit schwerer Hämophilie, die an die Heimselbsttherapie gewohnt sind.

mittelschwere Hämophilie

Definitionsgemäß liegt eine mittelschwere Hämophilie vor, wenn die Restaktivität des Faktors zwischen 1% und 5% liegt. Dabei kann der tatsächliche Schweregrad der schweren Hämophilie ähneln oder auch verhältnismäßig leicht sein.

andere Einzelfaktormängel

Faktor V-Mangel, Faktor VII-Mangel, Faktor X-Mangel, F XI-Mangel haben keine Eigennamen so wie Hämophilie. Außer dem leichten F VII-Mangel sind sie eher noch seltener als die Hämophilie. Die Einteilung in Schweregrade ist identisch.

Faktor XII-Mangel ist relativ häufig und wird meist als Zufallsbefund entdeckt bei der Abklärung einer verlängerten aPTT (Suchtest in der Gerinnungsdiagnostik). Klinisch ist das irrelevant, da F XII-Mangel nicht zu einer Blutungsneigung führt.

Faktor XIII-Mangel  kommt nicht selten vor. Die sehr seltene schwere Form ähnelt der Hämophilie. Der leichte F XIII-Mangel äußert sich meist nicht durch Blutung während einer Operation, sondern durch spätere Nachblutungen nach Operationen. Er ist nämlich nicht zuständig für die Bildung der Blutgerinnung, sondern für deren Verfestigung (Fibrinquervernetzung).

Außer F VIII-Mangel und F XI-Mangel sind Männer und Frauen von den Einzelfaktormängeln gleich häufig betroffen.